Bayerischer Landkreistag 2021 - Hybridveranstaltung mit Liveübertragung aus dem Landratsamt München

Erstmals in hybrider Form fand am 19. Mai 2021 die Landkreisversammlung unter erschwerten Rahmenbedingungen statt. Rund 140 Zuhörer verfolgten vor Ort und an ihren Bildschirmen zuhause aufmerksam die Reden und konnten sich interaktiv an den Gesprächen und Diskussionen beteiligen.
09 LKV 2021 - Diskussionsrunde

Der richtige Kurs für die nächsten vier Jahre – Die bayerischen Landkreise und der Bund

Der gemeinsame Kurs auf die Zukunft 

In seiner Grundsatzrede mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September 2021 konzentrierte sich Präsident Christian Bernreiter auf die vier Megathemen Corona, Wirtschaft, Klima und starke Landkreise als Fundament des Staates.

Pandemie überwinden 

„Zunächst gilt es, die Coronapandemie zu überwinden und die Gesellschaft zu einen. Es geht darum, in der Pandemie sicher über die Ziellinie zu kommen. Trotz vieler Herausforderungen haben wir in den letzten Monaten bereits erfolgreich bewiesen, dass in der Pandemie auf das überragende Engagement der Landratsämter nicht verzichtet werden kann. Kontaktnachverfolgung, Quarantäne gewährleisten, kontrollieren, Bußgeldbescheide, Teststrecken aufbauen und betreiben, Impfzentren, Masken verteilen, Bürgertelefone, informieren, erklären und beraten – all diese Aufgaben wären ohne uns und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort nicht zu leisten gewesen“, so Bernreiter. Die Langzeitstrategie zielt darauf ab, ein vertretbares normales Leben mit dem Virus zu ermöglichen. Dazu hilft aktuell nur eins: Impfen, Impfen, Impfen! Nur so können die Menschen sukzessive ihre Freiheitsrechte zurückerhalten. Deshalb ist es so wichtig, dass Impfstoff in ausreichender Menge bereitsteht und gleichmäßig verteilt wird. Es darf nicht sein, dass Gebiete mit geringerer Ärztedichte benachteiligt werden, weil dadurch ein Keil in die Gesellschaft getrieben würde.   

Stabilisierung der Wirtschaft 

„Ferner ist eine schnelle Stabilisierung der Wirtschaft notwendig. Dies verlangt eine kluge Öffnungsstrategie, ohne das Erreichte zu gefährden. Nur wenn wir es schaffen, rasch zu alter wirtschaftlicher Stärke zurückzukehren, sprudeln die Steuereinnahmen und bleiben die Sozialkassen durch hohe Erwerbstätigkeit geschont. Andernfalls dürften sich die finanziellen Herausforderungen in allen Bereichen ob Klima, Gesundheit oder Pflege kaum schultern lassen!“, so der Präsident. 

Klimawandel miteinander gestalten  

Den Klimawandel, der als Gefahr für die Lebensgrundlage künftiger Generationen betrachtet wird, nehmen die Landkreise sehr ernst. Seit der Entscheidung des BVerfG vom 24. April 2021 zum Klimaschutzgesetz hat förmlich ein Wettlauf von Bund und Ländern über die zu erreichenden Klimaziele begonnen. Während der Bund Klimaneutralität nicht erst in 2050, sondern bereits in 2045 anvisiert, kündigt Bayern an, dieses Ziel schon 2040 erreichen zu wollen.  

Doch die Erfahrung lehrt: Die Ziele sind das eine, die Umsetzung ist das andere. Der Bayerische Landkreistag bekennt sich seit langer Zeit zum Klimaschutz. Intensität und Umsetzungsgeschwindigkeit der Vorgaben müssen sich aber auch künftig an der praktischen Realisierbarkeit orientieren. Voraussetzung für das Gelingen der Klimawende ist aber die Akzeptanz in der Bevölkerung vor Ort. Daher müssen die Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Einklang gebracht werden und den Wohlstand und die industrielle Wertschöpfung sichern. Der Klimaschutz kann nicht gegen große Teile der Bevölkerung und die Wirtschaft, sondern nur mit ihnen gemeinsam vorangebracht werden, indem wir den Klimaschutz als Wachstumschance verstehen und ihn sozialverträglich ausgestalten. 

Starke Landkreise als Fundament des Staates 

„Wir brauchen starke Landkreise und müssen diese als Fundament des Staates zukunftsfest gestalten!“, so Präsident Bernreiter. Voraussetzung hierfür ist eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen.  

Bund und Land haben dies richtig erkannt und 2020 die Gewerbesteuerausfälle in Höhe von 2,4 Mrd. € im Freistaat abgesichert. Mit Blick auf die großen Herausforderungen der Zukunft bedarf es aber auch für 2021 eines entsprechenden Ausgleichs, um die Umlagekraft in 2023 zu stabilisieren.  

Eine weitere wertvolle Hilfe war auch der ÖPNV-Rettungsschirm im Umfang von bundesweit 5 Mrd. €, der von einer hälftigen Kostentragung durch Bund und Länder ausgeht. Präsident Bernreiter dankte dafür, dass der Bund für das Jahr 2021 bereits eine Aufstockung um eine weitere Mrd. € in Aussicht gestellt hat, damit die pandemiebedingten Verluste infolge sinkender Fahrgastzahlen und hygienebedingter Mehraufwendungen ausgeglichen werden können. Die Länder sind nun aufgefordert, ihre finanziellen Zusagen einer hälftigen Beteiligung am ÖPNV-Rettungsschirm ebenfalls einzuhalten. Dabei sichern diese Mittel nur den Status quo und berücksichtigen noch nicht die staatlichen Vorgaben zum Klimaschutz, weshalb Präsident Bernreiter hier dauerhaft mehr Engagement von Bund und Land erwartet.  

Doch die Einnahmen sind nur eine Seite der Medaille. Mindestens ebenso schwer wiegen die Ausgaben, die den Landkreisen von Bund und Ländern aufgebürdet wer-den. Die Sozialausgaben haben bereits in wirtschaftlich „guten“ Jahren regelmäßig neue Rekordwerte erreicht. Beispielsweise sind die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2019 erstmals auf über 8 Mrd. € angestiegen. Das entspricht einer Steigerung von 9,4 % gegenüber dem Vorjahr (7,3 Mrd. €). Daneben gibt es zahlreiche weitere Beispiele für Zusatzbelastungen der Kommunen, wie die geplante Pflegeplatzgarantie in Bayern, das Bundesteilhabegesetz, das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das Ganztagsförderungsgesetz oder das Angehörigenentlastungsgesetz. Angesichts der aktuellen Haushaltslage ist eine differenzierte Ausgaben- bzw. Aufgabenkritik dringend notwendig, um die künftige Kostenentwicklung gerade im Pflege- und Sozialbereich wirksam unter Kontrolle zu halten.  

„Der Staat kann nicht alles abnehmen. Wir müssen einer Vollkaskomentalität entgegenwirken und die Eigenverantwortung stärken, um finanzielle Ressourcen für die drängenden Zukunftsfragen im Bereich Klimaschutz, Digitalisierung und medizinische Versorgung freizuschaufeln“, so der Präsident. 

Im Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, MdB: Das Gesundheitssystem nach Corona

Ein besonderes Highlight, das alle Teilnehmer mit großer Spannung erwartet hatten, war das Gespräch mit Bundesgesundheitsmister Jens Spahn, MdB, der sich auf Einladung von Präsident Berneiter aus Berlin zugeschaltet hatte. Schwerpunkte des Austauschs bildeten die künftige Ausrichtung der Krankenhaustrukturen im ländlichen Raum sowie das brandaktuelle Thema der Corona-Impfungen.

Fehlender Impfstoff

Nach wie vor fehlt es an ausreichend Impfstoff, weshalb in den Impfzentren die geschaffenen Kapazitäten teils ungenutzt bleiben. Um bei den Erstimpfungen, die bereits einen guten Schutz bieten, schneller voranzukommen, wurde die Vorratshaltung für die Zweitimpfung aufgegeben. Dies führt aktuell aber dazu, dass kaum mehr Vakzine für Erstimpfungen bereitstehen. Ausbleibende Impfangebote sorgen in der Bevölkerung vor Ort zu großem Unmut, nachdem in der Politik der Impfturbo angekündigt wurde und die Aufhebung der Impfpriorisierung bei Hausärzten den Eindruck erweckt, dass in Kürze Impfstoff im Überfluss vorhanden sei. Die Landräte forderten daher dringend alles Mögliche zu unternehmen, um mehr Impfstoff zu bekommen. 

Minister Spahn stellte in diesem Zusammenhang klar, dass sich die Zahl der zu erwartenden Impfdosen nicht verringert, sondern sogar leicht erhöht habe und den Ländern ebenso wie das Problem der Zweitimpfungen von Anfang an bekannt gewesen sei. Er lobte das Engagement der Landkreise beim Aufbau der Impfzentren, die allerdings mit Blick auf die zu erwartenden Liefermengen den Bedarf deutlich übertroffen hätten. Hinzu käme, dass durch die geänderte Empfehlung der STIKO zur Verwendung des Vakzins von AstraZeneca für die Zweitimpfung mehr Biontech-Impfstoff benötigt wird. Gleichwohl sei es insgesamt betrachtet ein großes Glück, dass erstmals in der Geschichte überhaupt noch während der Pandemie ein Impfstoff entwickelt werden konnte, der hilft die Infektionszahlen zu verringern. In den nächsten Tagen würden 40 % der Deutschen eine Erstimpfung erhalten haben. Dies sei den gemeinsamen Anstrengungen in den Impfzentren und den Arztpraxen zu verdanken, die es zu Rekordwerten mit bis zu 1,3 Mio. Impfungen/Tag gebracht haben. Dieser hohe Wert werde weltweit nur von wenigen Ländern mit deutlich größerer Bevölkerung erreicht. Vor diesem Hintergrund sei aus seiner Sicht der Begriff „Impfturbo“ auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern passend.  

Gerechte Impfstoffverteilung  

Wenn der Staat die Impfung und die Verteilung des Impfstoffs übernimmt, muss er nach Auffassung der Landräte auch eine gerechte Impfstoffverteilung gewährleisten. Derzeit sei bedingt durch das zweigleisige Vorgehen bei der Impfung über Impfzentren und Hausärzte eine regional unterschiedliche Impfstoffverteilung festzustellen. Je nach Anzahl und Engagement der niedergelassenen Ärzte liegen die Impfquoten in einzelnen Regionen um mehr als 10 % auseinander, was sich nicht nur in der Inzidenz widerspiegelt, sondern auch unmittelbare Auswirkungen auf die Schutzmaßnahmen für die gesamte Bevölkerung eines Landkreises haben könne. Daher ist nach Auffassung der Landräte entweder über die Impfzentren oder eine höhere Zuteilung an einzelne Ärzte ein regionaler Ausgleich zu schaffen. Soweit notwendig, müsse der Bundesgesetzgeber das Arzneimittelrecht entsprechend anpassen, nachdem die Gesetzgebungskompetenz hierfür beim Bund liegt. 

Gesundheitsmister Jens Spahn zeigte Verständnis für die Situation, die sich in Bayern aufgrund kleinteiliger Verwaltungsstrukturen im Vergleich zu Ländern mit sehr großen Gebietskörperschaften besonders bemerkbar macht. Nach seinen Erfahrungen würden aber von den Arztpraxen alle Impfdosen, die am Montag ausgeliefert werden, bis zum darauffolgenden Freitag verimpft, weshalb er hier kaum Chancen für eine Umverteilung ungenutzter Impfdosen sehe. Soweit hier Spielräume bestehen sollten, sagte er zu, sich um eine Lösung zu bemühen, ohne konkretes zu versprechen. Mit Blick auf die Erfolge beim Impffortschritt, die nur durch ein Zusammenwirken von Impfzentren und Arztpraxen zu erzielen sind, machte er aber Hoffnung, dass bald allen Impfwilligen eine Erstimpfung angeboten würde. Aufgrund aktuell schnell sinkender Inzidenzen bei gleichzeitig steigenden Impfungen blickte er insgesamt positiv in die Zukunft und bat jetzt noch 5 bis 6 Wochen durchzuhalten.  

Impfnachweis 

Weiteren Gesprächsbedarf gab es in Bezug auf die Impfnachweise, die eine wesentliche Voraussetzung für eine Rückkehr zum normalen Leben sein werden. Einzelne Landkreise haben hier schon eigene Lösungsansätze entwickelt. Gleichwohl bat der Minister um Verständnis, dass hier mit Blick auf die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union nur ein europäischer Ansatz Sinn ergebe, der in der Umsetzung deutlich höhere Anforderungen stelle. Schließlich müsse der digitale Impfausweis aber europaweit anerkannt werden, sei es bei Urlaubs- oder Dienstreisen. Gesundheitsminister Spahn zeigte sich zuversichtlich, dass der Impfausweis noch im Juni starten kann.  

Künftige Ausrichtung der Krankenhausstrukturen  

Einigkeit bestand bei dem Thema der künftigen Krankenhausstruktur, dass die aktuelle Krankenhausversorgung nicht bedarfsgerecht ist. Die Schwierigkeit liege nach Auffassung des Gesundheitsmisters darin, dass in manchen Gebieten – häufig in Ballungsräumen – ein Überangebot herrscht, während im ländlichen Raum eine Unterversorgung besteht. Dies führe dazu, dass für das Gesundheitssystem höhere Kosten entstehen würden, als für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendig wären. Deswegen könne er sich ein Abrücken vom DRG-Fallpauschalensystem nur vorstellen, wenn Bund, Länder und Kommunen ihre Hausaufgaben machen und die Versorgungsstrukturen an den tatsächlichen Bedarf anpassen. Dazu müssten mancherorts Kapazitäten abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Spahn betonte dabei, dass ihm die flächendeckende Grundversorgung vor Ort wichtig sei, diese aber auch Qualitätsstandards erfüllen müsse. Dies schließe aus, dass jeder alles macht. Wichtig für eine bedarfsgerechte Versorgung wäre zudem eine bessere regionale Vernetzung mit der ambulanten Versorgung, damit sich jeder um den Patienten kümmert, den er am besten behandeln kann.